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Barrierefreiheit von unten: ein Schlichtungsversuch

Ich habe meine Funktion in der barrierefreien Arbeit und Szene immer als eine Art Korrektiv gesehen, eine Möglichkeit, von aussen oder von unten – wie immer man das sehen will – konstruktive Kritik zu üben. Das wurde nicht immer wohlwollend aufgenommen. 🙂 Heute sehe ich es als meine Aufgabe, diese Korrektiv-Funktion mal ins Neutrale zu wenden. Es herrscht ja derzeit eine rege bis ungute Debatte zu Christian Heilmanns Vortrag am Wiener A-Tag Panta Rhei Alles aendert sich, warum nicht wir?. Ungut im Sinne, es gibt durchaus interessante Debattenlinien, leider treffen sie nicht immer den Vortragskern. Ich werde mal vorsichtig versuchen, das alles ein wenig zu entkernen und in einen gemeinsamen Zusammenhang zu stellen. Weil: Man kann aneinander durchaus auch vorbeireden, weil eben die jeweiligen Ansätze doch zu unterschiedlich sind.

Barrierefreiheit von unten

Ich denke, das Grundproblem der Auseinandersetzung ist, dass die Diskutanten unterschiedlich an Barrierefreiheit und das barrierefreie Arbeiten / Realisieren herangehen. Die Stich- oder Schnittpunkte reichen dann von der Nutzer-, Gesetzes-, Kunden- bis zur Entwicklersicht. Ja, da sind sie alle wieder, die Knackpunkte, aber je nach Ausgangspunkt kann sich das barrierefreie Erarbeiten eben doch unterscheiden.

Das was die Arbeit und Herangehensweise von Heilmann für mich – und ich denke für viele andere auch – so spannend macht, ist, dass er barrierefreie Arbeit von unten macht. Das ist eine anarchische Perspektive und geht durchaus bewusst konform mit Ansätzen der Social Accessibility wie Open Source Screenreader, Firefox-Plugins wie Webvisum und ähnlichen Versuchen, das Web jetzt und für viele zugänglich zu machen. Anarchismus lebt ja gerade von einem Jetzt und einer gewissen Portion Utopie. Auch das findet sich in Heilmanns Vorträgen immer wieder, sie leben geradezu davon, dass sie sich immer wieder nach vorne orientieren, positive Beispiele sammeln, quasi positive Basisarbeit machen.

Die Entwicklerperspektive

Und zu einer Barrierefreiheit von unten gehört der richtige Protagonist, das ist – wie auch immer anarchisch der dann sein kann – der Entwickler, die konkreten Basisarbeiter, die Barrierefreiheit täglich erarbeiten, voranbringen – mal sind es Minischritte, mal sind es Riesensprünge, Sprungbretter. Ich denke, das ist der Fokus und der Ausgangspunkt von Heilmanns Arbeit und für mich als Frontendentwicklerin ist das eine wichtige Perspektive. Eine Perspektive, die auch immer wieder vernachlässigt wird. Als Beispiel: die Gesetzgebung, die sich lange von den Entwicklern isoliert hat, uns zu Erfüllungsgehilfen gemacht hat.

Erst das WCAG 2 hat das realisiert, was man eine Initialzündung für die Webentwicklung nennen kann, es hat uns und unsere Lösungen mit einbezogen, wir sind das erste Mal in der barrierefreien Entwicklung mit gefragt, an anderen, besseren und wie Heilmann so schön formuliert – einfacheren, sprich: standardisierten und schnell einsetzbaren – Lösungen mitzuarbeiten. Auch das WCAG 2 hat erkannt, es muss einen Rückkanal geben, eine Barrierefreiheit von unten wird dadurch endlich ermöglicht. Das BITV 2 wird das nicht möglich machen können, soweit war der letzte Konsens seinerzeit auf der Tagung Einfach für Alle. Gut, wir brauchen auch nicht x Kanäle, Standardisierung heißt auch, es reicht ein Gesetzeskanal, der sich permanent aus den Erfahrungen der Entwickler speist.

Das Geduldpotential

Auch so ein Streitpunkt ist, dass man doch mehr Geduld haben sollte mit Designern und Entwicklern. Das wurde dann in eine Grundsatzdebatte umgelegt, die so nicht stimmig ist. Wir haben doch alle immer noch genug Geduld, sonst würden wir doch längst die barrierefreie Arbeit an den sprichwörtlichen nächsten Nagel gehängt haben. Wenn dem so wäre, wie die aktuelle Diskussion vermuten lässt, dass wir alle längst keine Geduld mehr hätten, dann würde es schon noch viel finsterer um den Zustand der Barrierefreiheit aussehen. Ich denke, auch hier argumentiert Heilmann von einer Barrierefreiheit von unten. Nicht aus einer legeren Haltung heraus, dass wir die Windmühle nur immer wieder kräftig treten müssen, auch wenn sie längst nur noch ein Schaustück für die barrierefreie Touristik ist. Es geht wieder ganz konkret um die Verantwortung des Einzelnen, des einzelnen Entwicklers mitzuhelfen und mitzubauen an der Barrierefreiheit.

Der eine kann da mehr bewirken und vermitteln, der andere Entwickler dann vielleicht nur eine kleine barrierefreie Ecke umbauen und weiterentwickeln. Wir müssen doch auch zugeben, neben unserer durchaus gesetzestreuen Basisarbeit nach BITV oder WCAG scheren wir immer wieder aus, loten alte Ergebnisse noch mal durch, testen Ansätze für Sprunglinks neu, halten uns im internationalen Diskurs möglichst entwicklerorientiert am Laufenden, sind begeistert, dass es so was wie WAI ARIA gibt und entdecken immer wieder Frameworks neu und anders – wie es mir mit YUI passiert ist in meiner Vortragsbearbeitung. Über manches traut man sich noch nicht drüber, anderes kann man schon im Schlaf, entdeckt dabei aber, dass man das besser, kompakter und einfacher machen kann. Denn wir alle sind ziemlich findige Standardisten, kennen das Handwerk und durchaus und gerne seine Grenzbereiche.

Aus dieser anarchischen Basisarbeit jetzt Dispute abzuleiten, die uns quasi wieder Jahre zurückpfeifen? Das kann es doch nicht sein oder? Wir gehen doch immer von einem gewissen Standard-Konsens aus, den wir nicht unterschreiten wollen, weil er einfache und standardisierte Lösungen bietet, die funktionieren. Aber die barrierefreie Basisarbeit ist nun mal in schnellem Wandel, da hat Heilmann schon recht. Wir dürfen uns nicht auf feste Podeste zurückziehen, wir müssen die Potentiale, Barrierefreiheit für viele und gleich zu ermöglichen, halt auch erkennen, durcharbeiten und dann einsetzen. Validiert das dann oder eben noch nicht. Das meint aber nicht, wie vielfach verstanden wurde, wir machen jetzt alles schlicht dreckig.

Viele barrierefreie Züge

Und es kann ja auch keiner überlesen haben, dass Heilmann auf den barrierefreien Prozessgedanken alles festzurrt? Versuchen wir das nicht schon seit Jahren in unserer Agentur- und Entwicklungsarbeit zu realisieren? Warum wird das jetzt grade überlesen? Etwas uns durchaus Vertrautes, auch wenn es nicht immer so einfach dann aufgeht, wie Heilmann das sagt. Sitzen wir wirklich noch so zwischen allen Stühlen? Kann man nicht sagen, die Verbindung zu den Designern und dem Designprozess hat sich verbessert, das Verständnis ist gewachsen. Hat nicht das Projektmanagement tatsächlich aufgeholt und kann dem Kunden in Sachen Barrierefreiheit schon besser vermitteln? Ja und nein, kommt immer darauf an, wie wir Entwickler Bereitschaft und Möglichkeit haben, da zu vermitteln – mit viel Geduld, ganz klar, aber das Verständnis ist gewachsen, auch die realisierten barrierefreien Standards sind größer. Ich denke, was man von Heilmann lernen kann, ist tatsächlich ein utopisches Denken, das ganz positiv und real wird, sobald man eben sich immer wieder klar macht, was man geschafft hat über die Jahre.

Ja, auch ich neige dazu – österreichische Maserung – auch so ein Thema, das man leicht übersehen kann in der Diskussion grade -, das Negative eher wahrzunehmen und kritischer an Realisiertes heranzugehen, als es mir und der Barrierefreiheit oft gut tut. 🙂 Blödes Korrektiv eben. Aber ich kann dann immer noch einen Schritt zurückgehen und Heilmann zuhören, verstehen, welchen wunden Punkt er grade bei mir getroffen hat. Wir haben alle unsere betriebsbedingten blassen Flecken, was unsere barrierefreie Arbeit betrifft, sind zu oft mürbe und vergessen den Spaß zu reaktivieren. Weil – ist es nicht tatsächlich so, ohne Spaß an der barrierefreien Arbeit verlieren wir selbst irgendwann alles, wofür wir arbeiten.

Daher sind wir dann doch immer wieder so begeistert, wenn Heilmann uns auf unseren mitunter verschütteten Spieltrieb aufmerksam macht. Und der Spieltrieb zeigt sich ja auch darin, dass wir an eine Gesetzgebung so herangehen, dass sie gleichzeitig erfüllt und praktisch im Einsatz sein kann. Das nennen wir dann nach einiger Zeit barrierefreie Standards und wenn wir als Entwickler dann Glück haben, schlägt sich das auch wieder rück in die Gesetzgebung. Aber im Grunde ist dieser Rückkanal sekundär, wenn der barrierefreie Entwicklungsprozess alle einbezieht, die spielen wollen und können. Sicherlich immer wieder ein Geduldsspiel, aber auch Geduldsspiele können einen enormen Reiz ausüben, auch für mehr als einen Spieler. 🙂

Die Diskussionsbeiträge bis dato – auch die Kommentare dazu sind interessant:

38 Antworten auf “Barrierefreiheit von unten: ein Schlichtungsversuch”

  1. […] Dieser Eintrag wurde auf Twitter von Eric Eggert, Sylvia Egger erwähnt. Sylvia Egger sagte: Barrierefreiheit von unten: ein Schlichtungsversuch @sprungmarkers http://url.ie/2pmq […]

  2. Social comments and analytics for this post…

    This post was mentioned on Twitter by sprungmarkers: Barrierefreiheit von unten: ein Schlichtungsversuch @sprungmarkers http://url.ie/2pmq

  3. Danke schoen! Spitzenerklaerung und genau das was ich anreissen will. Mit Leuten wie dir in der „Szene“ bin ich gluecklich und habe Vertrauen das was bewegt wird.

  4. Dankeschön!

    Fein, wenn jemand sich die Zeit nimmt, eben genau diesen Schritt zurückzugehen und mal durchzuatmen. und es dann noch auf den Punkt bringt…

    Und Du hast diese Utopie, diese Vision, die Chris antreibt und die auch mich -immer wieder- fasziniert, ziemlich genau getroffen.

    Laßt die Spiele beginnen 8>)

    Maik

  5. Ich habe mit keiner der oben genannten Thesen irgendein Problem. Jeder Designer soll rumbasteln und ausprobieren können und kreativ sein, Spass haben. Mir geht es am Ende nur um das Ergebnis: Eine barrierefreie Seite.

    Was mich an der ganzen Debatte ziemlich bemerkenswert finde ist, dass die Designer im Mittelpunkt stehen. Geht es nicht eigentlich um die User und nicht so sehr um die Entwickler? Wenn behinderte Menschen im Mittelpunkt stehen würden, wäre die ganze Debatte nämlich völlig unnötig.

    Hat sich irgendjemand mal überlegt, warum wir so angefressen sind, wenn jemand von „Geduld“ redet in Bezug auf Barrierefreiheit? Und warum der Satz „Barrierefreiheit darf kein Zwang sein“ mich wütend macht? Weil diese Aussagen wahrscheinlich älter sind als das Internet selbst. Seit ich denken kann, ist das die üblichen Floskeln, wenn um Barrierefreiheit gerungen wird – nicht nur im Internet. Das Ergebnis ist bekannt.

    Es geht hier de facto um Menschenrechte, um Informationsfreiheit und Teilhabe. Da verlasse ich mich ungern auf anarchische Grundsätze und „wird schon werden“.

  6. @Christiane

    Ich habe versucht zu erklären, dass es Heilmann um die Entwicklerperspektive geht und damit im Ergebnis natürlich um den Nutzer. Das steht doch ausser Frage. Ich denke, das wird grade doch missverstanden.

    Barrierefreie Entwickler haben doch immer den Nutzer im Fokus, sonst würden sie ihr Handwerk, ihren Ausrichtung ja gänzlich missverstehen und fehlleiten. Ich fürchte, in diese Richtung kommen wir nicht wirklich weiter.

    Ich weiss ja auch nicht, ob ich Heilmann wirklich richtig verstanden habe. Aber mir fällt halt diese Entwicklerzentrierung auf – sei es der Designer oder der Frontend-Entwickler, der Javascript-Programmierer etc.. Da legt er schon seit Jahren einen wichtigen Fokus drauf. Das ist auch wichtig, weil all diese Menschen erarbeiten die Barrierefreiheit, setzen Gesetze dann real um und mitunter bringen sie auch viel weiter. Nicht immer genug, klar.

    Dieser Entwickler-Perspektive auch mal mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, ist legitim, aus meiner Sicht längst überfällig – vor allem diese Perspektive mal nicht so bierernst zu sehen, sondern einen lustvollen Zu- und Umgang zu wagen – und kann auch immer wieder forciert werden. Das macht Heilmann meiner Ansicht nach.

    Dass letztlich der Nutzer, auch der Spass der Nutzer in Anwendung und Zugang, mit gemeint ist, ist doch selbstverständlich. Wir Entwickler vergessen doch nicht, worum es grundsätzlich geht. Find ich schade, dass das dann wieder auf so einer Ebene wahrgenommen wird.

    Gerade weil es um eine ganz spezielle Gruppe geht, die mehr angeregt und ernst genommen werden sollte: die barrierefreien Entwickler. Wenn Eric Eggert sagt, es gibt ja nur eine Handvoll Agenturen, die wirklich gute barrierefreie Arbeit macht, dann ist das traurig und Ansporn genug.

    Es stimmt auch so nicht so ganz, es gibt auch diese schmalen Seitenbereiche, Agenturen, deren Fokus nicht wirklich auf Barrierefreiheit liegt, aber Einzelkämpfer immer wieder trotzdem barrierefreie Optimierung mit in den allgemeinen Standard aufnehmen etc.. Dann werden es schon ein paar mehr Agenturen, die sich darum bemühen.

    Ja klar, der Zustand der barrierefreien Agenturarbeit könnte weitaus weiter und besser sein. Und der Geduldsfaden kann auch uns Entwicklern immer auch mitreissen, weil wir auch wissen, am Ende macht es die Seite wieder unbenutzbar für ganz konkrete Menschen.

    Aber wir sollten uns wirklich darauf einigen, dass Teilhabe und die Akzeptanz von Menschenrechten ein Konsens zwischen uns ist und das seit Jahren. Worüber wir hier sprechen und worüber Heilmann spricht basiert auf diesem Konsens. Ich denke, das wird grade schon missverstanden.

  7. @ Chris Heilmann

    danke, ich denke, hier liegt schlicht ein ziemliches Missverständnis in Teilen der Szene vor. Ich hoffe, mein Artikel kann zu ein wenig Klarheit führen.

  8. @Maik

    Tja, ich fand das eben schon ein wenig schwierig, so eine Diskussion. Dabei ziehen wir ja wirklich alle am gleichen Strang und nur das kann uns alle ja auch weiterbringen.

    Einen Schuss Utopie muss man einfach haben, das zeichnet ja auch unsere barrierefreie Entwicklung aus. Nicht immer arbeiten wir auf gut abgesteckten Terrain und jetzt haben wir auch noch die merkwürdigen Gesetzes-Ungleichzeitigkeiten.

    Diese Utopie meint auch, dass wir eben eine Utopie für jemanden bauen, ich find’s grade merkwürdig, dass es so ankommt, als wären wir Glasperlenspieler und würden vergessen, für wen wir eigentlich entwicklen.

  9. @alle 🙂

    Und so Kommentare von Martin Kliem, es würden sich wieder die barrierefreien Funktionäre duellieren, bringen letztlich auch nichts. Disput und Diskussion muss sein, aber wir sollten uns nicht ständig dabei Positionen und Themen vorwerfen, die wir doch schon längt überwunden haben.

  10. Ich nehme an, ich habe den größten Teil der Diskussion und Argumente gefunden und gelesen – und bin wieder einmal froh, dass ich das Tempo meiner Sprachausgabe nach oben drehen und mich dabei gleichzeitig entspannt zurücklehnen kann.

    Als End-User von Websites kreuz und quer durch den Gemüsegarten unterschiedlichster Themen zähle ich mich gleichzeitig zu den Leidtragenden und den Gewinnern.

    Ich kann nicht leugnen, dass ein Großteil vor allem kommerzieller Seiten Emotionen und Reaktionen wecken, wie Christiane sie beschrieben hat. Die Unbelehrbaren mit ihren durchsichtigen Ausreden sind einfach nicht zu motivieren. Die brauchen eine stärkere Droge in Form des Damoklesschwerts, das drohend über ihren Häuptern schwebt.

    Diejenigen aber, die mit dem Thema wenig vertraut sind und weder eine positive noch negative Grundhaltung dazu haben, die sind meiner Meinung nach nur durch Motivation zu gewinnen. Und welche Motivation könnte stärker sein als die Lust?

    Ich sage es hier und wo man es hören will mit aller Deutlichkeit: Ja, ich brauche das Web für viele meiner Aktionen: Von der Tageszeitung über den elektronischen Fahrplan bis hin zur Buchung und der Bezahlung meiner Rechnungen.

    Aber neben dieser Notwendigkeit des Webs, zu dem es in vielen Lebensbereichen keine wirklich gute Alternative gibt, ist es vor allem die Lust am Neuen, das Ausprobieren, das Mitmachen und der damit verbundene Spaßfaktor, der mich bei der Web-Stange hält – trotz vieler Niederlagen und – zugegeben – so mancher Frustration, die auch gelegentlich in Wut umschlägt.

    Nicht nur der Entwickler von Webseiten benötigt diese Motivation zum Spaß an der Sache, auch und gerade der User kann sich ansprechen und mitreißen lassen.

    Auch ich bin davon überzeugt, das Chris nicht alle Menschen mit seiner Methode erreichen kann, aber das kann niemand, ob nun mit Zuckerbrot oder Peitsche.

  11. @Christiane Der Grund warum Entwickler im Rampenlicht stehen ist das alles was mit Barrierefreiheit zu tun hat als unsere Pflicht angesehen wird. Man muss schon wirklich lange suchen um Projektmanager und Designer zu finden die Barrierefreiheut verstehen oder die es interessiert. Alles, aber auch wirklich alles was auf einer Seite falsch laeuft ist die Schuld der Entwickler, und das ist die Frustration, mit der *wir* jeden Tag leben muessen.

    Klar ist das Endziel es Menschen zugaenglich zu machen, aber das Hauptproblem ist es doch das weder Entwickler noch Firmen wissen was die echten Barrieren sind. Ich habe versucht dieses Problem mit Scripting Enabled to loesen, aber es ist verdammt schwierig *echte* Informationen ueber Behinderungen zu bekommen. Wer will das die Probleme verstanden werden muss auch erreichbar sein um diese Informationen zu geben. Wenn ich jetzt als Entwickler was richtig machen will, dann hoere ich Infos von anderen Entwicklern und von tollen Testing Firmen. Nur zu sagen der Behinderte soll im Mittelpunkt stehen ist einfach, dann muss man aber auch die Probleme verstehen die wir haben die einfachsten Loesungen einzubinden weil es eben keine Information gibt, die meinem Projektmanager erklaert, warum es noetig ist. Wir haben genug damit zu tun die Techniken zum funktionieren zu bringen, da das Web eine Scheiss Applikationsplatform ist. Facebook macht ne Menge Geld indem dauernd neue Sachen dazukommen, egal wie barrierefrei die sind, und das ist ein Fakt.

    Mit ScriptingEnabled wollte ich dieses Problem loesen, ausser mir hat sich keiner gemeldet das weiterzufuehren obschon es vollkommen frei zum verwenden ist. Mit meinem „the business reasons for web standards“ Wiki gings genauso. Beschweren ist immer einfach aber wenn es darum geht etwas mit echten Daten zu bereichern kommt immer das grosse Schweigen.

  12. Danke, Eva. Sehe ich genauso.

    @Christian

    – Du kannst die Frustration, die man im Beruf hat, nicht mit einer täglichen Diskriminierung vergleichen, keinen Zugang zu alltäglichen Dingen des Lebens zu haben.

    – Die Aktion Mensch aka Tomas Caspers haben ein hervorragendes und umfassendes Angebot zum bf Internet aufgebaut, wo auch gut erklärt wird, was die Barrieren sind. Die Aktion Mensch hätte auch das Geld, so etwas in Englisch anzubieten. Ich glaube nicht daran, dass es zu wenige Infos zu dem Thema gibt.

    – Nur weil behinderte Menschen Barrierefreiheit fordern, heißt das nicht, dass sie auch die Rampen selber mauern müssen. Dennoch ist die Anzahl der behinderten Leute, die im Bereich bf Internet aktiv sind und Dinge bewegen, derzeit höher als im Baubereich beispielsweise. So zumindest meine empirisch nicht belegte Schätzung.

    – Wer als Webentwickler in Deutschland an die öffentliche Hand (in anderen Ländern auch an die Privatwirtschaft) liefert, kann nicht sagen „Interessiert mich nicht.“ Wer es doch tut, muss zumindest mit dem Risiko leben, sich regresspflichtig zu machen und / oder öffentlich kritisiert zu werden. Ich sag nur Arbeitsamt.de und die Firma Accenture. Die Kritik von EfA ist heute noch schnell zu finden, wenn man nach „Arbeitsamt“ und „Accenture“ sucht.

    – Barrierefreiheit muss aus dem Status des Wohltätertums raus. „Rights, not charity“ steht auf den Demoplakaten der britischen Behindertenbewegung. Ja, ich mag die Entwickler, die Überzeugungstäter sind, auch lieber und finde auch gut, wenn es da eine Interessensbewegung gibt, aber es ist auch keine Religion. Es muss klar sein, es geht um Rechte.

  13. @Christiane alles das gleiche. Ich hab keine Ahnung wie man sich als Behinderter fuehlt und du keine Ahung was in Agenturen als Webdeveloper abgeht. Webseiten erstellen mit Baumassnahmen zu vergleichen hinkt arg.

  14. @Eva Papst

    danke – ich denke auch, dass es eine legitime – ich spreche auch von einer notwendigen – Aufgabe ist, den Spassfaktor für alle Beteiligten wieder zu reaktivieren und rauszustellen. Mit den alltäglichen Mühen und Mühlen haben wir eh schon alle zu tun. Das ist halt der Reiz von Heilmanns Arbeit, uns klar zu machen, dass wir in den täglichen Aufreibungen auch was verloren haben, das Positive, das Lustvolle an unserer Arbeit. Das ist mehr als legitim als Konzept und Projekt.

    Ich finde es grade merkwürdig, dass er damit so aneckt.

    @Christiane
    Dein Standpunkt ist klar und ich denke, auch Chris hat damit keine Probleme. Ganz klar haben wir als Entwickler nicht diesen realen Fokus und die Erfahrung alltäglicher Diskriminierung – wenngleich jeder sicherlich da seine Erfahrung dazu hat, sie unterscheiden sich dann nur in der Tiefe.

    Wir sollten hier keine Grundsatzdiskussionen führen, wir kennen alle und schätzen die Arbeit von Einfach für alle, verfolgen die seit Jahren. Und wir wissen, dass es genug Quellen gibt, um sich mit Informationen zu Barrieren zu versorgen. Wir entwicklen ja nicht in der Schwebe, ohne zu wissen, auf welche Barriere hin wir optimieren.

    Bei Heilmanns Ansatz und Projekt geht es doch nicht darum, wieder die Schere zwischen Recht und Gutwill aufzumachen. Das hast Du wirklich falsch verstanden. Den einzelnen Webentwickler zu mehr Verantwortung und Beteiligung aufzurufen, meint doch nicht, alles andere wie Gesetzgebung und klar verankerte Rechte sausen zu lassen? So habe ich ihn nie verstanden. So ist er auch nicht zu verstehen.

    Er argumentiert aus einem bestehenden rechtlichen Gefüge, in dem er noch mehr Energien und Ressourcen sucht, damit wir in der barrierefreien Arbeit weiterkommen. Er zeigt nicht nur positive Wege auf, er realisiert sie auch.

    @Chris Heilmann

    Ich denke, wir alle haben auch eine gewisse Empathie – jeder von uns hat auch seine eigene Geschichte und Diskriminierung erlebt -, um uns Probleme vorzustellen. Aber darum geht es hier grade nicht, sollte es nicht gehen. Wie schon gesagt, ich setzte einen Konsens der Menschenrechte schlicht bei uns voraus.

    Wenn wir hier weiter kommen wollen, sollten wir einen anderen Blickwinkel wählen, den der Entwickler. Darum geht es Dir und darauf bezog sich auch mein Artikel.

  15. @Sylvia
    Ich weiß nicht, wie die Folie „Barrierefreiheit darf kein Zwang sein. Wir koennen Barrierefreiheit nicht von der Kanzel herab der Welt aufzwingen. Das fuehrt nur zu theoretischen und religioesen Debatten.“ sonst zu verstehen ist.

    Tatsache ist, dass sie mehrere Leute (die ich großteils gar nicht kenne) ganz ähnlich verstanden haben wie ich. Solche Statements sind der Sache nicht dienlich und darum geht die ganze Diskussion. Ersetz doch mal das Wort „Barrierefreiheit“ durch etwas Selbstverständlicheres wie „Wahlrecht für alle.“ Vielleicht wird dann klarer, warum so etwas bei einigen Leuten Irritationen auslöst.

  16. @Christiane

    Ja, ich kann das verstehen. Als Germanstin schau ich mir schon auch immer genau Aussagen an. Ganz klar. Und ich kann die Irritationen verstehen, aber Irritationen sind das eine, Generalkritik und einen generellen Ansatz missverstehen das andere. Ich will jetzt hier auch nicht Interpret von Heilmann werden. 🙂

    Aber zwei Punkte dazu:

    Sprachliche Ersetzungen sind immer möglich, da könnte man den Inhalt dadurch dann verstärken oder abschwächen. Ein schwieriges Unterfangen.

    Als geschulte Semantikerin habe ich dann doch gelernt, mir den Kontext von Aussagen etwas umfassender anzusehen und mir fallen bei dieser Stelle zwei Dinge auf:

    Zum einen – sieht man sich den Vortrag insgesamt und mehrere seiner Vorträge an, nutzt Heilmann oft die sprachliche Provokation, dabei wird es auch mal ungenau oder auch unstimmig. Das ist mir grade bei dem Vortrag in Wien aufgefallen, er arbeitet auch mitunter sehr assoziativ, das ist beim Vortrag dann ganz verständlich, im expliziten Nachlesen fällt das dann auf.

    Erweitert man den Lesefokus, kann man schon erkennen, worauf sich das Kanzeln und von oben herab bezieht. „Wenn es Metal fans schaffen Rollis als einen von Ihnen anzuerkennen dann ist es verdammt schade das Stadtverwaltungen das nicht schaffen.“

    Danach kommt dann der Verweis auf die Kanzel und meint – so meiner Ansicht nach -, dass Barrierefreiheit zwar verordnet werden kann, aber es muss auch bei und in den Menschen ankommen – wie halt die Metalfans kein Problem mit Rollis haben in seinem Beispiel, weil sie eben keinen Unterschied machen. Und diese Selbstverständlichkeit fehlt halt dann oft in gesetzlichen Debatten.

    Im Grunde meint er, es sollte schlicht selbstverständlich sein, dass wir barrierefreie Webseiten machen. Ähnlich wie standardskonforme Webseiten. Wir sollten da gar nicht mehr trennen müssen, das immer wieder einfordern. Auch ich spüre das immer wieder, dass barrierefreie Arbeit oft nur gemacht wird, weil x oder y das so will. Das ist schade, da sollte mehr generelles Verständnis dahinter sein. Ich mache das auch immer mit den mir eigenen Keulen, aber über die Jahre haben Programmierer das ein wenig besser verstanden, was ich meinte mit Barrierefreiheit.

    Es ist – wenn man sich auf diesen von Dir erwähnten Satz bezieht – ganz klar unglücklich formuliert. Ist mir aber in diesem speziellen Vortrag aufgefallen, dass da einige Holpersteine drinnen waren.

    Das hat mich aber nicht dazu veranlasst, den generellen Impetus von Heilmann in Frage zu stellen. Und das sollte man auch nicht. Ganz klar kann und soll man natürlich auch seine Aussagen genau gegenlesen.

    Er ist mit seinem Ansatz eher allein im deutschsprachigen Raum unterwegs, ich hab ja auch mal Webstandards von unten gefordert, weil ich glaube, Spezifikationen sind wichtig, aber es kommt immer auch wieder darauf an, dass wir die auch leben als Entwickler.

  17. […] Debatten um die barrierefreie Szene, die ich in meinem Artikel Barrierefreiheit von unten: ein Schlichtungsversuch versucht habe zu beleuchten und in eine andere Richtung zu lenken, sind oftmals auch alte Debatten. […]

  18. Hallo zusammen (an die Szene) 😉

    Mit Interesse habe ich diesen Beitrag hier gelesen – und auch die Links und die damit verbundenen Diskussionen nachverfolgt … und nun im Nachhinein muss ich sagen: Die 100%ige Barrierefreiheit kann mich mittlerweile mal!!!

    Verstehen Sie mich bitte nicht falsch:
    Ich werde bei meinem Projekt (Social Network) ganz bestimmt die Barrierefreiheit-Vorgaben umsetzen (so gut wie möglich) – aber ich habe mittlerweile gelernt, dass man sich auch nicht allzuviel von außen dreinreden lassen sollte!

    Ich werde MEINEN Weg gehen – aber ganz bestimmt nicht im Sinne vieler aus dieser uneinigen Szene.

    Ich finde es wirklich nur sehr schade, dass so viele sehr kreative und intelligente Köpfe auf keinen gemeinsamen Nenner kommen können.

    Schade um das eigentliche Ziel!
    Schade um die „gute Szene“, die sich anscheindend nicht organisieren kann.

    mfg
    Heinz

    P.S. Genau aus diesem Grund habe ich heute einen eigenen Blog gestartet, weil es in dieser Szene so ja üblich sein soll *ggg* … einen kritischen Blog zur Barrierefreiheit im Internet.

  19. @Heinz

    Jeder sollte immer seinen Weg gehen. 🙂 Es ist ja schon ne Weile her und die Auseinandersetzung um die barrierefreie Szene hat sich ja wieder etwas beruhigt.

    Nun, es wird und muss immer wieder Meinungsverschiedenheiten geben, sonst entwickeln sich Themen und auch eine Szene nicht weiter. Das Problem bei dieser Auseinandersetzung war aber, dass man sich nicht mehr wirklich zugehört hat, sondern eher mit Unterstellungen gearbeitet hat.

    Ich hoffe, dass sich das nun wieder in ruhigere Bahnen bewegt hat.

  20. @Sylvia
    Vielen Dank für die rasche Antwort.

    Natürlich hat sich das hoffentlich in ruhigere Bahnen gelenkt – denn es wäre schade um diese gute Szene.

    Das Problem dabei ist wohl IMMER, dass man sich zu wenig zuhört, oder andererseits gleich verbal drauflos schlägt, ohne die Kommentare der anderen „wirklich gelesen“ zu haben, und sich eben zu sehr von Emotionen leiten lässt.

    Freut mich jedenfalls zu hören, dass sich die Szene langsam beruhigt – obwohl es dennoch nicht den Augenschein im Internet macht.

    Wäre schön, wenn man dies auch erfahren könnte, wenn man danach googelt – aber anscheinend sind die Barrierrefrei-Experten keine SEO-Profis 😉
    … oder Madame Google ist eher an Streits als an Beruhigung/Versöhnung interessiert.
    ;-(

    lg
    Heinz

    1. @Heinz
      Die Frage hierbei ist, ob man den „Augenschein“ so im Netz nachlesen kann. 🙂 Aber ich hoffe zumindestens ein wenig.
      Vieles in der „Szene“ spielt sich nicht in Artikeln ab, das ist auch gut so. Schliesslich geht es um das Weiterentwickeln
      des barrierefreien Themas und nicht um die „Gefühlskultur“ der barrierfreien Szene.

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